Asterix bei den Historikern
                   
Altertumsforscher untersuchten die Abenteuer der rauflustigen Gallier auf
ihren
                   
Wahrheitsgehalt. Alles stimmt, beim Teutates!
                   
Von Urs Willmann
 
 
  In welchem Jahr fiel eine gallische Horde mit Sack, Pack und
lebenden 
                   
Zum Glück gibt es tapfere Wissenschaftler, die uns endlich reinen
Wein einschenken.
                   
Gallische Druiden schnitten tatsächlich Misteln - mehr als Hokuspokus
brachten aber
                   
auch sie nicht zustande. Und Asterix kann nur 48 vor Christus Olympiasieger
                   
gewesen sein. Schließlich spielen die Abenteuer des listigen Galliers
in Zeiten
                   
römischer Besatzung, die 50 vor Christus begann. Außerdem war
er Zeitgenosse
                   
von Cäsar - der bekanntlich schon an den Iden des März 44 vor
Christus das
                   
Zeitliche segnete. Da die Spiele jeweils im Spätsommer über die
Bühne gingen,
                   
kommt nur das Jahr 48 infrage.
                   
Es ist verdienstvoll, dass sich Altertumswissenschaftler wie Sunnyva van
der Vegt
                   
und René van Royen von der Universität Amsterdam dafür
interessieren, wann sich
                   
Wildschwein vernichtende Comic-Helden wo rumgetrieben haben. Mit wem sie
sich
                   
geprügelt haben. Ob Wildschwein damals gebraten oder gekocht wurde.
Trotz
                   
anfänglichem Kopfschütteln ihrer Kollegen begannen sie, in der
Historie nach den
                   
blauweißen Hosen zu suchen, mit denen Obelix seine Wampe kleidet.
                   
Jahrzehntelang wunderte sich niemand darüber, dass die Comic-Schweizer
schon
                   
eineinhalb Jahrtausende vor der Erfindung des Fondues eimerweise Käse
                   
schmelzen. Schließlich ist die Grundkonstellation der 31 Bände
fiktiv und keineswegs
                   
historisch belegt: Allein der chauvinistischen Fantasie von Goscinny und
Uderzo ist
                   
die Idee entsprungen, dass nicht "ganz Gallien" von Cäsar besetzt
worden ist. Das
                   
Künstlerpaar schuf ein kleines keltisches Dorf im Gebiet der heutigen
Bretagne, das
                   
seit 1959 nicht aufhört, dem Feind aus Rom Widerstand zu leisten.
Der Freiheit ihrer
                   
Kunstgattung ist zu verdanken, dass die Geschichte Galliens spaßeshalber
                   
andersrum erzählt wird als in Cäsars De bello Gallico - eben
so, wie sie den
                   
patriotischen Franzosen besser in den Kram passt.
                   
Seit 42 Jahren retten der kleine listige Krieger Asterix, der trottelige
                   
Hinkelsteinlieferant Obelix, der nicht sehr standfeste Häuptling Majestix,
der
                   
beeindruckende Barde Troubadix, Altfischverkäufer Verleihnix und ihre
Kumpel
                   
mithilfe von Miraculix' Zaubertrank die Ehre der französischen Vorfahren,
indem sie
                   
die vor 2000 Jahren siegreichen Römer post festum verdreschen. Mitte
der
                   
neunziger Jahre hielt der Historiker van Royen die Zeit für reif,
das
                   
Sprechblasenprodukt einem akademischen Test zu unterziehen. Er fing an,
                   
Vorlesungen über Asterix-Bände zu halten. Erst nur vor Studenten,
dann öffentlich -
                   
mit der Folge, dass ihm Horden den Hörsaal stürmten.
                   
Zusammen mit der Altphilologin van der Vegt prüfte er nach, wie viel
die Antike des
                   
Asterix mit jener Geschichte zu tun hat, die uns die Herren Plinius, Tacitus
oder
                   
Plutarch vermitteln. Sie gründeten das Zentrum für Asterix-Forschung
und
                   
publizierten ihren universitären Forschungsstoff 1997 in dem Buch
Asterix. Die ganze
                   
Wahrheit. Der zweite Band, Asterix auf großer Fahrt, ist soeben erschienen.
Das Fazit
                   
der Arbeit: Natürlich haben Goscinny und Uderzo - wie es sich für
einen Comic
                   
gehört - schamlos übertrieben und die Zeiten gehörig durcheinander
gemischt. Nur
                   
so war es möglich, dass ein römischer Feldherr auf einen Hinkelstein-Industriellen
                   
treffen konnte. Der letzte Kreateur dieser präkeltischen Zeitzeugen
- von denen bis
                   
heute niemand weiß, wozu sie dienten - war in historischer Tat und
Wahrheit
                   
mindestens 1000 Jahre tot, als Cäsar über die keltisch bewohnten
Gebiete herfiel.
                   
Vor allem dort, wo es um die Ehre Frankreichs geht, kannten Uderzo und
der 1977
                   
verstorbene Texter Goscinny kein Pardon mit der Wahrheit. In ihrer Comicversion
                   
hatte sich der gallische Feldherr Vercingetorix einer zahlenmäßig
übermächtigen
                   
römischen Armee zu unterwerfen. Tatsächlich aber hatte Cäsar
mit bloß 60 000
                   
Legionären Vercingetorix' 330 000 Mann in die Knie gezwungen.
                   
Aber unter dem Strich ist überraschend viel zumindest nicht falsch.
Goscinny und
                   
Uderzo hatten in der Lateinstunde aufgepasst; ihr Werk selbst ist absolut
                   
unterrichtstauglich. Helme und Schwerter der Comic-Kelten ähneln genauso
den
                   
Originalen wie die römischen Uniformen und die nach einem Kinnhaken
von Obelix
                   
als einzige der Schwerkraft gehorchenden Legionärssandalen.
                   
In den historischen Quellen spürten die Holländer manche Stelle
auf, gegen deren
                   
Existenz man seine eigene Asterix-Sammlung verwettet hätte: Wer hätte
Goscinny
                   
und Uderzo geglaubt, dass die Briten heißes Wasser tranken! Jeder
hielt das für
                   
einen Gag, der den Galliern (natürlich Jahrhunderte zu früh)
die Gelegenheit gab,
                   
ihren Gastgebern das Teetrinken beizubringen. Doch tatsächlich gab
es in der Antike
                   
sowohl Cervisia- als auch überzeugte Wassertrinker. So riet Athenaios
denen, die
                   
sich guter Gesundheit erfreuen wollten dazu, viel Wasser zu trinken, "im
Winter und
                   
Frühling so heiß wie möglich".
                   
Letztlich haben sogar die ständigen Teepausen, die die römischen
Eroberer in
                   
Asterix bei den Briten in Verzweiflung treiben, einen realen Hintergrund.
Sie sind eine
                   
Anspielung auf die britische Kriegstaktik des hit and run: Die Insulaner
starteten
                   
urplötzlich einen Angriff, um sich danach blitzschnell zurückzuziehen.
Mit diesen
                   
zermürbenden Attacken hatten Cäsars Soldaten ihre liebe Mühe.
Die Kampftaktik
                   
aller von Goscinny und Uderzo präsentierten Widerstandshorden unterscheidet
sich
                   
nicht wesentlich von der realer Kelten, wie sie der Schriftsteller Polybios
beschrieb:
                   
Berauscht von einem höllischen Getöse aus Trompeten, Hörnern
und furchtbarem
                   
Kriegsgesang, stürzten sie sich wie eine wild gewordene Meute ins
Getümmel.
                   
Wohl aus Rücksicht auf sein jugendliches Publikum hat Uderzo in diesen
Fällen mit
                   
der Authentizität aber nicht übertrieben. Beim Zeichnen gallischer
oder belgischer
                   
Krieger ließ er es beim entblößten Oberkörper bewenden.
Er hätte weiter gehen
                   
können: Wie uns Polybios und erhaltene Statuen von sterbenden Galliern
lehren,
                   
warfen sich die Mutigen oft sogar völlig nackt, einzig mit Schwert
und Helm
                   
bekleidet, in die Schlacht.
                   
Der Erfolg der Asterix-Werke beruht natürlich nicht primär auf
einer gesicherten
                   
historisch-archäologischen Faktenlage. Vielmehr begeistert die Kombination
von
                   
treffenden Wahrheiten, Klischees und Versatzstücken modernen Zeitgeists,
mit
                   
denen die von den Galliern aufgesuchten "Nationen" in Wort und Bild karikiert
                   
werden. Ab und an verquicken die Autoren sogar Persiflage und Historie
in einem
                   
Motiv. So etwa, als die Spanienreisenden auf einen kilometerlangen Stau
antiker
                   
Sommertouristen stoßen. Tatsächlich unternahmen die Helvetier
58 vor Christus den
                   
(letztlich gescheiterten) Versuch, nach Süden auszuwandern. Ein 200
Kilometer
                   
langer Konvoi, so lauten die Berechnungen der holländischen Historiker,
bewegte
                   
sich damals im Schritttempo nach Süden. Im Phänomen des modernen
                   
Massentourismus orten die Forscher einen Rest "versunkenen Kulturguts".
                   
Schließlich hätten viele Europäer keltische und germanische
Vorfahren, die laut
                   
Cäsar diese Art der Mobilität schon damals schätzten: "Sie
waren unterwegs mit
                   
vielen Karren und enormem Gepäck."
                   
Auf ihrer Spurensuche in den Bibliotheken stießen die forschenden
Comicfreaks
                   
natürlich auch auf hanebüchene Fehler. Doppelt falsch sind in
Asterix bei den
                   
olympischen Spielen die trainierenden Hochspringer. Ihre Sportart war damals
keine
                   
olympische Disziplin, und die Gewichte, die sie im Comic in den Händen
tragen,
                   
gehörten zur Ausrüstung von Weitspringern. Und Asterix betritt
nach seinem Sieg
                   
ein Podest, auf dem Platz für einen Zweiten und einen Dritten ist.
Ausgezeichnet
                   
wurde im alten Griechenland aber nur der Erste - und dem wurde der Ölzweig
sicher
                   
nicht auf einem roten Kissen überreicht.
                   
Überraschenderweise aber fand sich in den Quellen nicht nur der antike
                   
Stierkämpfer, die Reisebadewanne, der Urzebrastreifen und die Liebe
der Gallier zu
                   
kleinen Schoßhündchen, wie sie Obelix zu Idefix lebt. Van Royen
und van der Vegt
                   
stöberten auch den besenschwingenden Legionär und die bunten
und gestreiften
                   
Klamotten der Comic-Gallier auf. Sogar die berühmte einzige gallische
Angst lässt
                   
sich in der Historie auftreiben. Lange Zeit vor Asterix hatten tapfere
Kelten eine
                   
Unterredung mit Alexander dem Großen. Der fragte sie, wovor sie sich
fürchten. Die
                   
einzige Angst, versicherten sie dem Kriegsfürsten, sei, dass ihnen
der Himmel auf
                   
den Kopf fallen könnte.
 
 
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